Trauma

„Ein Trauma ist eine Erfahrung, die die Bewältigungskapazität einer Person übersteigt und die biologische Selbstregulation nicht wieder in Gang kommen lässt.“
Peter Levine

Wie kommt es zu einer Traumatisierung?

Evolutionär gesehen ist der Mensch ein Fluchttier. In der „Freien Wildbahn“ entschied  die Fähigkeit, möglichst rasch eine Gefahr einschätzen zu können, über das Überleben.

Bei Lebensgefahr muss (damals wie heute) sehr schnell zwischen den drei zur Verfügung stehenden Reaktionsweisen die richtige ausgewählt werden: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Für diese blitzschnellen Entscheidungen ist unser Stammhirn („Reptiliengehirn“) verantwortlich, das uns entwicklungsgeschichtlich mit Säuge- und anderen Tieren verbindet.

Diese sehr alten Mechanismen sind auch heute noch bei uns Menschen wirksam. In einer Situation vermeintlicher oder tatsächlicher Lebensgefahr stellt der Körper sehr schnell eine große Menge Energie bereit. Wenn diese Energie jedoch in der bedrohlichen Situation nicht in eine Aktion der Muskeln umgesetzt wird, bleibt sie – im Unterschied zu den Wildtieren – im Nervensystem gebunden und führt so möglicherweise früher oder später zu veränderten Verhaltensmustern oder einem erhöhten Reizlevel.

Symptome eines Traumas

Derart gestaute Erregungsenergie kann eine Vielzahl von Symptomen hervorrufen:

  • Flashbacks/ unwillkürlich auftretende Erinnerungen und Bilder
  • Albträume
  • Dissoziationen
  • Reizbarkeit/ Aggressivität
  • Schreckhaftigkeit
  • ständige Alarmbereitschaft
  • Apathie, Gefühllosigkeit, Passivität
  • Vermeiden von bestimmten Situationen

Auch das Gefühl, nicht mehr ich-selbst zu sein, Schlafstörungen, veränderter Appetit, Gefühle von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sowie Konzentrationsschwierigkeiten oder Schuldgefühle können sich einstellen.

Treten solche oder ähnliche Symptome noch später als vier Wochen nach einem überwältigenden Ereignis auf, spricht man im klinischen Kontext von einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Was ist ein Entwicklungstrauma?

Davon zu unterscheiden ist die Entwicklungstraumatisierung. Hierzu zählen Ereignisse, die uns als kleine Kinder oder sogar noch im Mutterleib überwältigt haben, jedoch auf ähnliche Weise wie oben beschrieben wirken. Solche Erlebnisse können sein:

  • frühkindliche Vernachlässigung
  • Vorgeburts- und Geburtstrauma
  • Verlust des Zwillings im Mutterleib
  • wenn die Mutter die Geburt als traumatisch erlebt hat und dies Auswirkungen auf die Bindung zu ihrem Kind hat (z.B. bei einer Wochenbettdepression)
  • Frühgeburt – Brutkastenerfahrung, (u.U. Kaiserschnittgeburt)
  • versuchte Abtreibung – oder die mütterliche Auseinandersetzung mit dem Thema
  • mangelnde Versorgung der frühen Grund- und Entwicklungsbedürfnisse
  • frühe Trennung von der Mutter (bzw. den Eltern), z.B. durch einen Krankenhausaufenthalt. Dies kann eine sogenannte Abbruchstraumatisierung hervorrufen, die sich im späteren Leben durch unverhältnismäßige Reaktionen auf Verluste, Abschiede oder Trennungen äußern kann
  • eine, in Bezug auf das Baby, uneingestimmte oder über einen längeren Zeitraum überforderte Mutter
  • frühe Missbrauchs- und Überwältigungserfahrungen
  • Intoxikation im Mutterleib

An diese frühen Erfahrungen bestehen meist keine konkreten Erinnerungen. Bei einem Entwicklungstrauma wurde die Erregungsenergie schon in einem sehr frühen Stadium unserer Entwicklung freigesetzt. Zu diesem Zeitpunkt ist der Neokortex des Menschen jedoch noch nicht vollständig ausgebildet. Dadurch wird die Energie auf einer sehr körperlichen Ebene, doch jenseits von Begriffen und sogar Emotionen freigesetzt und schließlich gebunden. So haben wir uns selbst zeitlebens mit dieser Erregungsenergie wahrgenommen, kennen es nicht anders und empfinden diesen Zustand möglicherweise als zu uns gehörig und „normal“.

Wie kommt es zu einer Traumatisierung?

Wenn ein Ereignis eine Person traumatisiert, muss dies nicht automatisch auch bei einer anderen Person geschehen. Ob es zu einer Traumatisierung kommt, hängt immer von mehreren Faktoren ab – besonders von den individuellen Umständen in der gefährlichen Situation, von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, den Vorerfahrungen, den genetischen Anlagen sowie dem Umfeld.

Mögliche Symptome Entwicklungstrauma

Symptome für ein Entwicklungstrauma können unter anderem folgende sein:

  • Gefühle von tiefer Frustration, Resignation, Angst und/oder Aggression
  • unverhältnismäßige Reaktionen auf Verluste, Trennungen und Abschiede
  • sensibilisierte Wahrnehmung für Signale einer möglichen Ablehnung, auf die meist stärker reagiert wird als auf positive Signale, die die Möglichkeit der Befriedigung in sich bergen
  • Spüren des Schmerzes aufgrund einer tiefen ungestillten Sehnsucht
  • unzureichend für sich sorgen zu können (z.B. in Beziehungen) oder keine oder nur eingeschränkt befriedigende Beziehungen führen zu können
  • Persönlichkeits- und Affektive Störungen

Schon im Mutterleib und in den ersten Lebensjahren entstehen somit die entscheidenden Prägungen, die unsere Beziehungsfähigkeit, die Fähigkeit, unsere Bedürfnisse auszudrücken, Gefühle von Vertrauen und Zugehörigkeit, die Entwicklung von Autonomie sowie unseren Umgang mit Liebe und Sexualität formen.

Von frühester Kindheit an entwickeln sich so Identifikationen, Glaubenssätze und Strategien, die im Moment, in dem sie entstehen, hilfreich sind und das Überleben und den überlebensnotwendigen Kontakt (!) sichern. Behalten wir diese Strategien allerdings bis in das erwachsene Leben hinein bei, erweisen sie sich möglicherweise als störend oder inadäquat.

Traumasymptome

Ein Trauma haben Sie vermutlich dann erlitten, wenn:

  • ein Ereignis (z.B. ein Unfall) Sie aus der Bahn geworfen oder überfordert hat
  • Ihr Körper bei dem Gedanken an ein Ereignis deutlich reagiert
  • auch nach Wochen/Monaten unangenehme Erinnerungen an ein Ereignis auftreten
  • Ihr Leben/Sie selbst seit einem Ereignis nicht mehr ist/sind wie zuvor
  • Sie seit dem Ereignis nur schwer einschlafen oder durchschlafen können oder Sie unter Alpträumen leiden
  • Sie unter Panikattacken leiden
  • Sie chronische Leidenszustände, gepaart mit psychosomatischen Symptomen, haben